6.
Ich hörte ein Geräusch hinter mir, und als ich mich umdrehte, trat dort eine große Frau aus einem Schuppen. Ihr blondes Haar war unter einen Schal gesteckt, und sie trug einen Wollpullover, eine Cordhose und Gummistiefel. Sie hielt eine leere Handsämaschine, ein Gerät, mit dem man die Streumenge der Saat durch verschieden große Öffnungen kontrollieren konnte. Die Frau hatte etwas an sich, das mich sofort beruhigte.
Als sie mich sah, schreckte sie zunächst zurück, dann lächelte sie aber. »Ich soll eigentlich Kohl pflanzen«, sagte sie, hob das Gerät an und warf mir durch den trichterförmigen Schnabel einen schalkhaften Blick zu. Sie streckte mir die Hand entgegen. »Aber ich habe das Päckchen mit der Saat verloren. Gill Ryman. Und Sie sind ...?«
»Henry Meadows. Ich arbeite für das Met Office. Die Funkausrüstung auf Mr Mackellars Weide ist meine.«
Gill Ryman. Augen mit der Farbe des Meeres und genauso wechselhaft, nur heller. Sorgenfalten auf der Stirn und ja, sie wirkte müde, aber sie war gleichzeitig faszinierend und beruhigend - vor allem die Augen, die die entschlossene Energie einer wahren Gläubigen ausstrahlten. Ich wusste damals noch nicht, wie unauslöschbar der Glaube dieser Saatjägerin mit den strahlenden Augen war, der ich so großes Leid antun würde. Es war ihr Glaube, der mich rettete, nicht mein eigener. Und es war ihre Intelligenz, die die Zahl entschlüsselte. Aber als ich sie zum ersten Mal traf, ahnte ich nichts davon; sie war vielmehr nur das Objekt fehlgeleiteter melancholischer Sehnsüchte, die ich selbst nur zur Hälfte verstand.
Als ich ihr die Hand gab, fühlte sie sich kalt und etwas schwielig an. Mir fiel ein Schneckenmuster vorne auf ihrem Pullover auf. Sie war attraktiv, eine stattliche Frau, aber auf seltsame Weise auch hager. Diese Mischung erweckte den Eindruck eines Gleichgewichts von Kraft und Zartheit, als wäre sie gleichzeitig Blatt und Blume; man fragte sich, was darunterlag.
»Ach, Sie sind das also!« Sie nahm den Schal ab, schüttelte ihre Locken und musterte mich dann wie ein Bauer einen Ochsen auf dem Markt. »Wir haben mitbekommen, dass die Leute vom Ministerium fleißig waren. Mein Mann hat selbst mal beim Met Office gearbeitet.«
»Genau deswegen bin ich hier«, erwiderte ich. »Hier bei Ihnen vor der Tür, meine ich. Ich verfolge seine meteorologische Arbeit.«
»Wirklich? Er hat das alles doch vor langem aufgegeben. Er konzentriert sich jetzt auf seine Friedensstudien.«
Friedensstudien. Wie seltsam sich das zu Kriegszeiten anhörte. Wie Blasphemie. Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht verdächtig wirken.
»Trotzdem«, sagte ich schließlich, »seine mathematische Arbeit interessiert mich sehr.«
»Ich kann nicht versprechen, dass er im Moment Zeit für Sie hat, aber kommen Sie doch herein.«
Ich ging wieder einen Schritt auf die Haustür zu.
»Nein, die benutzen wir gar nicht«, sagte sie. »Hier lang.«
Ich folgte ihr ums Haus herum. Unwillkürlich starrte ich ihre gut verhüllten Formen an. Sie war rund um die Hüften; ansonsten war sie knochig, Knie, Ellenbogen und Schultern. Hinter dem Haus erstreckten sich den Hügel hinauf in Richtung des niedrigen Steinhauses und Mackellars Hofes Gemüsegärten, in denen ich einen großen Arbeiter graben sah.
»Das da oben ist die Kate«, sagte sie und zeigte auf das alte Steingebäude, als sie die Hintertür öffnete. Kate. Mackellar hatte denselben seltsamen Ausdruck verwendet, der, wie ich später erfuhr, nur ein altes Wort für ein Wohnhaus auf einem Stück Ackerland war. Die kleinen schwarzen Hochlandrinder, die ich vorher gesehen hatte, standen jetzt näher bei der Kate. Sie versammelten sich im Kreis um das Haus und senkten die gefährlich aussehenden Hörner, als wollten sie es von seinem uralten Fundament heben.
»Und dazwischen liegen unsere Gärten.« Mein Blick senkte sich wieder auf den grabenden alten Mann.
»Pastinaken«, erklärte Mrs Ryman, als ich ihr in den Flur folgte. Sofort stieß ich mir den Kopf.
»Tut mir leid. Ich hätte Sie warnen sollen. Das ist die spezielle Heizanlage meines Mannes. Fragen Sie mich nicht, wie sie funktioniert.«
Eine Anzahl von Rohren verlief an Drähten aufgehängt über die Mitte der Flurdecke. Das Haus roch stark nach Dampf und Chemie. Ich folgte ihr in die große Bauernküche.
»Eine Tasse Tee?«
»Ja, gerne.« Die Küche war ziemlich spartanisch eingerichtet. »Tut mir leid, aber ist Ihr Mann denn zu Hause?«
»Er ist immer hier«, erwiderte sie. »Das war er eben im Garten.«
»Das war Professor Ryman?« Ich war überrascht.
»Ja. Die schweren Erdarbeiten übernimmt meistens er. Mackellar senst uns aber das Gras. Ich hoffe, er war auf der Fahrt von Blairmore nett zu Ihnen. Es ist ärgerlich, dass unser Anleger außer Betrieb ist; normalerweise hätten Sie zu Fuß gehen können.«
»Mackellar? Ja, ganz nett.«
»Er ist manchmal etwas griesgrämig. Und seine Frau erst...« Ich war überrascht, wie offenherzig sie war.
Der Kessel pfiff laut. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Tee zu - sie brühte keine Kanne auf, sondern nur einen Becher mit dem Tee-Ei - und verschwand dann ins Zimmer nebenan.
Sie kehrte mit einer Schüssel dicker Bohnen zurück. »Haben Sie Hunger? Probieren Sie mal. Die sind großartig.«
Ich nahm ein paar Bohnen. Sie waren gekocht und gesalzen und schmeckten erstaunlich gut.
»Wir haben leider keinen Zucker im Haus. Und keine Kekse. Wallace sagt, in einer Ackerbohne ist so viel Glukose wie in einem Löffel Zucker.«
Ich fragte mich, ob das stimmte. Es konnte gut sein, da aber so spät im Krieg kaum Zucker zu bekommen war, wäre es schwer gewesen, es zu überprüfen.
»Bitte sehr«, sagte sie und gab mir meinen Tee. »Trinken Sie, und ich gehe fragen, ob er Zeit für Sie hat.« Sie ging in den Garten.
Ich schlürfte den Tee, der etwas zu stark war, und erlaubte mir dann einen Blick ins Wohnzimmer. Die Wände waren weiß getüncht, und es gab einige antike Möbel aus dunkler Eiche. Anrichten, Kommoden und so weiter: Möbel, die man erbt - obwohl ich nichts dergleichen hatte. Es war alles in Afrika geblieben.
Im Wohnzimmer der Rymans standen auch zwei abgewetzte Sessel und eine Chaiselongue mit rosafarbenem Satinbezug - ein einzelner Hauch von Luxus. Das Zimmer machte einen sehr asketischen Eindruck, aber in einer Ecke stand ein großes Schaukelpferd. Die Wand vor seinem Kopf und seinen Ohren hatte Dellen, die sicher durch übereifrige Benutzung entstanden waren.
Außer der Chaiselongue und dem Schaukelpferd war das Einzige, was etwas weicher wirkte, eine Handarbeit hinter Glas in einem Holzrahmen. Es war eine kunstvolle Spitzenarbeit, wie man sie vielleicht in Madeira oder Nantes oder vielleicht vor langer Zeit in Nottingham ausgestellt sehen konnte. Ich erkannte schließlich, dass es ein Taufkleidchen war.
»Tut mir leid, aber mein Mann hat keine Zeit«, sagte Mrs Ryman hinter mir. Sie war unbemerkt aus dem Garten zurückgekehrt. Ihre Stimme hörte sich kühl an. Wir sahen uns beide einen Moment lang das Taufkleid an, und sie blinzelte. »Er hat Berechnungen zu machen, wenn er mit dem Graben fertig ist. Er mag keine unerwarteten Besuche.« Sie atmete aus. »Gar nichts Unerwartetes eigentlich.«
Nach dieser Abweisung überlegte ich mir meine Optionen und versuchte gleichzeitig, meinen Ärger zu überspielen. »Oh. Wie schade. Vielleicht ein andermal?«
»Sonntag zum Mittagessen?«, schlug sie vor. »Es wäre schön, wenn Sie kommen könnten. Der Herr Pfarrer kommt auch.«
Ich gab ihr die Hand, und dann sagte sie mit einem seltsamen Lächeln: »Ich freue mich darauf.«